Brücke über den Strom der Zeiten
Von Elmar Stöttner
Ergoldsbach. „Geschichte macht nicht klug für ein andermal, sondern weise für immer.“ Diese Sentenz des Schweizer Kulturhistorikers Jacob Burckhardt (1818–1897) ist ein vorzüglicher Leitfaden für einen Blick auf den riesigen Berg an Vorgaben durch die Geschichte, auf dem jede neue Generation ihr Leben aufbaut. Einen großartigen Blick in die Geschichte, konkret: auf das Leben der Menschen, die die Marktgemeinde Ergoldsbach geprägt haben, bietet das Goldbach-Museum: Mit diesem Haus haben die Ergoldsbacher einen Goldstandard für Heimatmuseen über die Region hinaus geschaffen, waren sich Mitglieder des Vereins Arlan nach einem Besuch einig.
Was tun mit alten Gebäuden, die die Stürme, die halben und ganzen Katastrophen der Jahrhunderte überstanden haben? Vor dieser Frage steht man heute ganz oft. Aber während man sich etwa im Italien-Urlaub daran ergötzt, mit welcher Selbstverständlichkeit dort altehrwürdige Gebäude mit neuem Leben und Aufgaben gefüllt werden, schauen viele weg, wenn daheim alte Bauten achtlos über den Haufen geschoben werden; genügend Beispiele aus der Region sind bekannt.
Im Markt Ergoldsbach ist man einen anderen Weg gegangen, wie Ludwig Kunert, Vorsitzender des Museumsvereins, einer stattlichen Schar von Mitgliedern des Vereins Arlan (Archäologie in Stadt und Landkreis Landshut) erläuterte. Das Ende März eröffnete Goldbachmuseum füllt heute die Villa des ehemaligen Brauerei-Besitzers Ludwig Stiegler: In Ergoldsbach brauten in den zurückliegenden Jahrhunderten insgesamt zehn Brauereien das bayerische Nationalgetränkt, wie die Arlan-Mitglieder unter Leitung des 2. Vorsitzenden Josef Geltl erfuhren.
Truhe für wahren Schatz
Ob Abriss und Neubau oder Sanierung des herrschaftlichen Anwesens aus der Kaiserzeit – in jedem Fall hätte der Umgang mit der Hinterlassenschaft des Brauerei-Besitzers Stiegler viel Geld gekostet. Die Marktgemeinde hat sich dafür entschieden, hier eine Schatztruhe der Geschichte einzurichten: Das Haus ist zugleich ein Erlebnisraum für Schulklassen und dank eines Vortragsraums im hellen Dachgeschoss auch eine Begegnungsstätte für Menschen jeden Alters, deren Geschosse dank eines modernen Aufzugs alle barrierefrei erschlossen sind.
Knapp drei Millionen Euro hat das Museumsprojekt gekostet. Zwei Millionen steuerte der Freistaat bei aus Mitteln der Städtebauförderung und der Landesstelle für nichtstaatliche Museen, rund 198000 Euro kamen vom Leader-Programm der EU, Kosten in Höhe von rund 660000 Euro trug die Marktgemeinde. Der Kitt, durch den sich alles zusammenfügte und ohne den das Projekt ebenfalls nicht möglich gewesen wäre, war das immense ehrenamtliche Engagement von rund 35 Mitgliedern des Museumsvereins.
Den Inhalt dieser Schatztruhe hat Helmut Siegl in Jahrzehnten zusammengetragen, Ehrenbürger und langjähriger Heimat- und Archivpfleger der Gemeinde. Die Sammlung besteht aus einer Fülle von Gegenständen des Alltags- und des religiösen Lebens: Die Palette reicht von Biergläsern früherer Orts-Brauereien und Gerätschaften von Landwirten und Handwerkern über Kinderspielzeug und Feuerwehr-Helme bis zu Trachten, mit denen Vertriebene, die nach 1945 im Goldbachtal heimisch wurden, die Erinnerungen an ihre Heimat in Schlesien oder im Sudetenland festhielten.
Altes Erbgut entschlüsselt
Die Sammlung umfasst Vermächtnisse von Musik- oder Tanz-Vereinen und Zeugnisse der Geschichte der Dachziegelwerke Erlus ebenso wie Dokumentationen der bewundernswerten Taten mutiger Ergoldsbacher Bürger in vergangenen Tagen (Max Maurer in der NS-Diktatur) und in neuerer Zeit (Dominik Brunner). Und sie reicht bis zu einem transportablen Beichtstuhl, mit dem die Pfarrer ehemals abgelegene Siedlungen und Bauernhöfe aufsuchten, um Gläubigen die Beichte abzunehmen.
Hinzu kommen spannende archäologische Funde aus den letzten Jahren wie die Bestattung von drei Bajuwaren, die vor rund 1300 Jahren zeitgleich gestorben sind und gemeinsam beerdigt wurden. Sie sind wohl einer Infektionskrankheit zum Opfer gefallen. Vielleicht jener Pest-Epidemie, die, von Ägypten ausgehend, im frühen Mittelalter nach und nach in vielen Teilen Europas wütete? Anthropologen der Universität Erlangen haben Erbgut und Knochen der drei, zwischen 30 und 50 Jahre alten Männer untersucht: Die Männer, die sich im Grab die Hände hielten, waren Brüder – und wohlgenährt, was die Vermutung ihres Todes durch Krankheit erhärtet.
Das Inventar des Goldbach-Museums, es ist ein Kaleidoskop der Zeitläufe, des Alltags und der Schicksale der Menschen, die hier gelebt und gelitten haben, geweint und gelacht: Dies brachten Ludwig und Monika Kunert den Arlan-Besuchern in großartiger Weise nahe bei einer Führung durch das Museum. Schicksale und Lebenslinien spiegeln sich wider in Plakaten, Fotos und Zeitungsartikeln, ausgedienten Musik-Instrumenten oder Werkzeug-Garnituren von Maurern und Zimmerleuten.
Lob auf den Bürgermeister
Dass auch mächtige Leute nicht gegen Wechselfälle des Lebens gefeit sind, macht das Geschick des Erbauers der Villa deutlich, die jetzt Museum ist: Der Brauerei-Besitzer Ludwig Stiegler büßte seine exzessive Wettleidenschaft für Pferderennen mit dem Konkurs seines Unternehmens.
„Eine intakte Gemeinschaft wurzelt in gemeinsamen Werten, in gemeinsamen Erfolgen, Zielen und Träumen“ heißt es auf einer Tafel am Museumseingang: „Das Goldbach-Museum spürt solchen Gemeinsamkeiten nach, es bewahrt sie und pflegt sie.“ Es ist das Credo des Museumsvereins, wie Ludwig Kunert und Helmut Siegl bei einem abschließenden gemütlichen Beisammensein darlegten.
Ergoldsbachs Bürgermeister Ludwig Robold müssen die Ohren geklungen haben bei den Worten, mit denen der Arlan-Ehrenvorsitzende Peter Geldner die wiederholten Ausführungen der beiden zur guten Rolle des Gemeindeoberhaupts seinerseits unterstrich: Alle Bemühungen um das großartige Projekt wären vergebens gewesen, hätten die Museumsfreunde nicht die Unterstützung durch die Marktgemeinde gehabt.